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DER KURZE LAUF: künstlerisches Eingreifen im post/sozialistischen öffentlichen Raum

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Es wäre vermessen, in einem kurzen Artikel den Überblick über jahrzehntelange Entwicklungen zur Kunst im öffentlichen Raum in Kroatien geben zu wollen. Daher mein Vorschlag sich auf einen Künstler und seine Aktionen zu konzentrieren, die gewissermassen den Knotenpunkt dieser sowohl zusammenhängender als auch widerstrebender Entwicklungslinien darstellt. Es handelt sich um Tomislav (Tom) Gotovac. Ein zweiter, kurzer Schritt bestünde im Nachzeichnen der Einbruchstelle(n) emanzipatorischer künstlerischer Praxis in die übergreifende gesellschaftliche Dynamik, in den Raum – sozusagen – wo der Freiheitsdrang sozial verändernd eingreift. Ein kaum zu zähmender Drang, der Geschichte schafft und sich ihr zugleich entzieht.

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1968 ist eine solche Stelle, ein solcher Zeit-punkt, deren extensive Zeitlichkeit schon seit mehr als 40 Jahren jede Pünktlichkeit unterbindet – das Ereignis 1968 ist in dem Sinne immer un-püntlich, immer zu früh oder zu spät. In dieser Un-pünktlichkeit ist 1968 gleichzeitig in keine lineare Reihe integrierbar, jede Teleologie zerschlagend. Diese unmögliche und unendliche Halbzeit – arithmetisch genau in der Mitte der europäischen Nachkriegszeit – wurde u.a. im kurzen und unschätzbar wichtigen Film Die Junibewegungen (Lipanjska gibanja, 1969) von Želimir Žilnik dokumentiert, in dem der Filmemacher den Streik Belgrader Studenten Anfang Juni 1968 mitverfolgt. Wie der Titel schon andeutet, geht es Žilnik primär um den Vorgangscharakter der Vorkommnise, um jene Bewegungen, die versprechen die gesellschafliche Starre zu durchbrechen. Die Studenten, die losgezogen sind, die Innenstadt zu besetzen, gruppieren sich im Rektoratsgebäude – besonders in den räumlich klar umrissenen Innenhof des Gebäudes. Die von Žilnik dokumentierte Dynamik ist vor allem die Interaktion der einzelnen Sprecher auf der Bühne mit der Masse im ‘Zuschauerraum’: ein räumlich limitiertes und körperlich-bewegungarmes Agieren, sich immer weiter überbietend in der Reden. So, als wäre die unterschlagene konkrete Bewegungs- und Versammlungsfreiheit in den rhetorischen und poetischen Höhen kaschiert.


Filmstill aus Lipanjska gibanja (Želimir Žilnik, 1969)

Zum Schluss der Höhepunkt: ein Schauspieler, der Robbespierres Monolog aus Büchners Danton rezitiert, wobei die Anwesenden sich scheinbar vom Redefluss in den Rausch gegen die lasterhaften (roten) Fürsten der Revolution mitreissen lassen. Der (jakobinische) Despotismus der Freiheit ist kommunikativer Natur, und eine Bresche für die gesellschaftliche Emanzipation zu schlagen, heisst die Sprache gegen die Obrigkeit zu wenden. Die massive Reaktion des sozialistischen Regimes war zögernd und erst nach einer Woche spricht die Partei Klartext. Titos Fersehansprache markiert das Ende des Studentenstreiks, und die in der Belgrader Studentenstadt (Studentski grad) anwesenden Studenten jubeln und stimmen den Reigen (kozaračko kolo) ein. Man tanzt, Hand in Hand. Der Blick zurück suggeriert, als hätte es nur zwei Arten der Bewegung gegeben, als wäre Jugoslawiens 1968 in einer Zweiteilung ausgeschöpft: auf der einen Seite das konzentrierte und unbewegte Lauschen auf die freiheitverbürgenden und stiftenden Worte, und auf der anderen, das benommene und exaltierte Tanzen, stumm das Regime affirmierend. Auf der einen Seite, also, Robbespierre der den ganzen Weg macht: von der Geschichte aus auf die Bühne, und zurück. Auf der anderen, der an den Partisanenkampf erinnernde Reigen der Studenten – alle untergründigen populistischen Register der staatlichen Brüderlichkeit-und-Einheit-Ideologie (bratstvo i jedinstvo) evozierend. Entweder kritische (politische) Dissidenz, oder populistisch benommene Affirmation. Tertium non datur, scheint es.

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Filmstills aus Plastični Isus (Lazar Stojanović, 1972)

Lazar Stojanović wird für sein Jesus aus Plastik (Plastični Isus, 1972)  - als einziger jugoslawischer Filmemacher überhaupt – einsitzen, und sein Film wird fast zwei Jahrzente lang bunkeriert. Eine Schlüsselszene des Streifens ist sicherlich die Gegenüberstellung des Staatsoberhaupts (dessen 1968er TV-Ansprache vom Fernsehapparat direkt gefilmt wird) mit der Strassenaktion Streaking von Tom Gotovac  von 1971. In der Situation – in der zumindest die Legitimation der Partei zu bröckeln scheint, wenn nicht sogar der Halt des Regimes – wird Tito seine Hände erheben und einsichtig beteuern, dass die “subjektiven” Fehler und Mängel der sozialistischen Ordnung erkannt worden sind, und man sich folglich bemühen wird, dieselben zu beheben. Was dies aber zwischen den Zeilen bedeuten wird – entgegen der Reaktion der von Titos Rede überzeugten und zurückgeholten Studenten – ist der Anfang der kontinuierlichen Repression gegen alles von der Parteilinie abweichende.

Tito hebt seine Hände. Schnitt. Man sieht die Sremska Strasse in Belgrad, ganz in der Innenstadt. Ein nackter Mann, bärtig. Mit erhobenen Händen. Der Mann schreit: “Ich bin unschuldig”.

Das ist unbestritten eine der Urszenen der jugoslawischen sog. Neuen künstlerischen Praxis, aber – und dies ist meine Pointe – zugleich auch das konkrete künstlerische Eingreifen in den öffentlichen Raum, das einen politischen Spielraum abseits der zuvor skizzierten Dichotomie anzeigt. Weder Dissidenz, noch Affirmation: Underground. Eine dritte Art von Bewegung, erratisch und unvorhersehbar. Ein kurzer Lauf, deren Inspiration sich aus der Happening-Kunst und dem Experimentalfilm speist. Ein kurzer Lauf, der wiederholbar ist (wie in zahlreichen späteren Performances von Gotovac) – der aber nie in den langen Marsch durch die Institutionen münden wird – weder künstlerisch, noch politisch. Ebenso – ein Underground meilenweit entfernt von der politisch-filmischen Fabel Kusturicas.

Slaven Tolj: Volim Zagreb (2008, Fotos: Marko Ercegović)

Über den Fall des Sozialismus und den Zerfall Jugoslawiens wird der kurze Lauf als künstlerische Intervention seine Gültigkeit behalten, wie z.B. in den Arbeiten von Slaven Tolj und Milica Tomić, die ihn erneut als Mittel zur Kritik der Pathologien der post-sozialistischen Gesellschaften einsetzen. Sowohl gegen die kaschierten Konflikte der 90er, als auch gegen die neoliberalen Tendenzen.

Milica Tomić: One Day (2009, Fotos: Srđan Veljović)


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